Verteidigungsrechte im Strafverfahren

Verfassungsrecht/Verfahrensgarantien (BV, EMRK)

Informationspflichten der Strafuntersuchungsbehörden betreffend das Zustandekommen der Protokolle der Telefonkontrolle (Art. 29 Abs. 2 und Art. 36 BV, Art. 6 Ziff. 3 EMRK, § 40 StPO, Art. 307 StGB; E. 3.4).


Sind die Aussagen des Belastungszeugens von ausschlaggebender Bedeutung, so kommt dem Anspruch des Angeklagten, diesem Fragen stellen zu können, grundsätzlich ein absoluter Charakter zu. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang nicht, dass tatsächlich eine Konfrontation stattgefunden hat, sondern vielmehr, dass dem Angeklagten die Möglichkeit zu einer solchen hätte eingeräumt werden müssen (Art. 6 Ziff. 1, Art. 6 Ziff. 3 lit. d und Art. 8 EMRK, Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV, § 38 StPO; E. 4.4 - 4.5).


Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung darf allein aufgrund der Protokolle der Telefonkontrolle ein Schuldspruch erfolgen (Art. 249 BStP, § 170 Abs. 1 Satz 2 und § 185 Abs. 1 StPO; E. 5.4).


Die Voraussetzungen der Landesverweisung (Art. 55 Abs. 1 und Art. 41 Ziff. 1 StGB; E. 7.4).



Sachverhalt

Mit Urteil des Strafgerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 17. Juli 2003 wurde E. H. der mehrfachen qualifizierten Zuwiderhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, der Geldwäscherei sowie der mehrfachen Zuwiderhandlung gegen das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern für schuldig erklärt und zu einer Zuchthausstrafe von 12 Jahren, unter Anrechnung der vom 30. August 2001 bis 17. Juli 2003 ausgestandenen Untersuchungshaft von 686 Tagen, verurteilt; dies in Anwendung von Art. 19 Ziff. 1 in Verbindung mit Ziff. 2 lit. a, b und c BetmG, Art. 305 bis Ziff. 1 StGB, Art. 23 Abs. 1 ANAG, Art. 68 Ziff. 1 und Art. 69 StGB. Vom Vorwurf der qualifizierten Zuwiderhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz in Bezug auf eine Menge von über 7,44 Kilogramm reinen Heroins im Anklagepunkt I sowie vom Vorwurf der Geldwäscherei im Anklagepunkt IV wurde E. H. freigesprochen. Des Weiteren wurde der Beurteilte gestützt auf Art. 55 Abs. 1 StGB für 15 Jahre unbedingt aus dem Gebiet der Schweiz verwiesen. Die bei E. H. beschlagnahmten Gegenstände wurden gemäss Art. 58 Abs. 1 StGB, das beschlagnahmte Bargeld gemäss Art. 59 Ziff. 1 StGB eingezogen und die beschlagnahmten Betäubungsmittel gestützt auf Art. 58 Abs. 2 StGB zur Vernichtung eingezogen. Zudem wurde der Beurteilte nach Art. 59 Ziff. 2 StGB zur Bezahlung von CHF 110'600.-- als Ersatzleistung an den Staat verurteilt. Schliesslich wurde er zur Tragung der Verfahrenskosten samt einer Urteilsgebühr in der Höhe von CHF 15'000.-- und der Kosten seiner Verteidigung verurteilt.


Gegen dieses Urteil erklärte E. H. mit Datum vom 26. Juli 2003 die Appellation und die Staatsanwaltschaft mit Datum vom 29. Juli 2003 die Anschlussappellation.



Erwägungen

1. (…)


2. (…)


3.1-3.3 (…)


3.4 Gemäss der Praxis des Bundesgerichts ergibt sich aus dem in Art. 29 Abs. 2 BV bzw. Art. 6 Ziff. 3 EMRK verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör das grundsätzlich uneingeschränkte Recht, in alle für das Verfahren wesentlichen Akten Einsicht zu nehmen. Die Produktion von Beweismitteln muss für den Angeklagten (und das Gericht) nachvollziehbar sein. In einem Strafverfahren bedeutet dies, dass die Beweismittel, jedenfalls soweit sie nicht unmittelbar an der gerichtlichen Hauptverhandlung erhoben werden, in den Untersuchungsakten vorhanden sein müssen und dass aktenmässig belegt sein muss, wie sie produziert wurden, damit der Angeklagte in der Lage ist zu prüfen, ob sie inhaltliche oder formelle Mängel aufweisen und gegebenenfalls Einwände gegen deren Verwertbarkeit erheben kann (BGE 129 IV 88 E. 4.1; mit Hinweisen). In Bezug auf Telefonabhörprotokolle im Speziellen verlangt das Bundesgericht, dass ersichtlich ist, wer sie erstellt hat und ob diese Personen Beamte sind oder auf die Straffolgen gemäss Art. 307 StGB für falsches Gutachten oder falsche Übersetzung hingewiesen worden sind. Ebenso muss bekannt sein, wie sie zustande gekommen sind, ob die Tonkassetten direkt übersetzt wurden oder ob zunächst Niederschriften in der Sprache, in welcher die Gespräche geführt wurden, erstellt und diese dann übersetzt wurden (BGE 129 IV 89 E. 4.2).


Wie die Vorinstanz richtig ausführt, sind die Telefonkontrollen gemäss den massgeblichen gesetzlichen Bestimmungen formell korrekt erhoben worden; darauf kann verwiesen werden (Urteil des Strafgerichts S. 26; act. 405 ff., 517 ff.). Dass die Bestimmung von § 40 StPO, wonach bei Vorliegen von besonderen Umständen ausnahmsweise die Identität von (unter anderem) Übersetzerinnen und Übersetzern zum persönlichen Schutz im Strafverfahren geheim gehalten werden kann, die verfassungsmässigen Rechte des Angeklagten einschränkt, ist unzweifelhaft, inwiefern aber diese Bestimmung die verfassungsmässigen Rechte des Angeklagten verletzen soll, wird von diesem nicht dargelegt und ist insbesondere im Lichte von Art. 36 BV nicht ersichtlich. Hinzu kommt vorliegend, dass der Leiter der Drogenfahndung Basel-Landschaft in seinem Bericht vom 21. Februar 2003 betreffend die Art der Erstellung der Telefonabhörprotokolle und der für die Übersetzung verantwortlichen Person wie folgt Auskunft gegeben hat: Die Identität der übersetzenden Person werde gestützt auf § 40 StPO geheim gehalten. In den Verfahren „Aktion S." und „K." sei von der Polizei dieselbe Person eingesetzt worden. Die Personalien der übersetzenden Person seien in einem Umschlag im Tresor der Abteilung Kriminalitätsbekämpfung deponiert und könnten dort durch die Gerichtspräsidien eingesehen werden. Die Telefongespräche seien direkt ab Tonträger in die deutsche Sprache übersetzt und von der übersetzenden Person in deutscher Sprache niedergeschrieben worden. Die übersetzende Person sei bei Beginn der Arbeit als Übersetzer mündlich auf die Folgen falscher Übersetzung hingewiesen worden. Unterschriftlich sei sie nicht auf die Folgen falscher Übersetzung hingewiesen worden, es handle sich bei ihr aber um eine integre Person, die bereits seit Jahren für die Drogenfahndung tätig sei (act. 586/5 f.). Damit ist den Informationspflichten betreffend das Zustandekommen der Protokolle Genüge getan. Des Weiteren sind dem Angeklagten alle wesentlichen Telefonate im Rahmen der Untersuchung in seiner Muttersprache vorgespielt worden (act. 973 ff.), ohne dass dieser inhaltliche Einwände erhoben hat. Die bei den Einvernahmen anwesende dolmetschende Person wurde ausdrücklich auf die Wahrheitspflicht und die Straffolgen hingewiesen (act. 967). Dass nicht alle Protokolle dem Angeklagten vorgehalten worden sind, ist durch die grosse Anzahl begründet; dieser hatte jedoch die Gelegenheit, in die vollständigen Verfahrensakten und damit auch in die Protokolle der nicht vorgespielten Telefonkontrollen Einsicht zu nehmen. Der naturgemässen Unklarheit, ob sich tatsächlich alle am Telefon besprochenen Geschehnisse verwirklicht haben, hat die Vorinstanz in der Weise Rechnung getragen, dass sie etwaige Unsicherheiten jeweils zu Gunsten des Angeklagten ausgelegt hat. Demnach ist die Kritik des Angeklagten an den Protokollen der Telefonkontrolle unbegründet (vgl. dazu auch das Urteil des Kantonsgerichts i.S. K. M. vom 20. Mai 2003 [71-02/879 {A 252 }] S. 6 ff.).


4.1-4.3 (…)


4.4 Der in Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK garantierte Anspruch des Angeschuldigten, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, ist ein besonderer Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Mit der Garantie von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK soll ausgeschlossen werden, dass ein Strafurteil auf Aussagen von Zeugen abgestützt wird, ohne dass dem Beschuldigten wenigstens einmal angemessene und hinreichende Gelegenheit gegeben wird, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Zeugen zu stellen. Dieser Anspruch wird als Konkretisierung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) auch durch Art. 32 Abs. 2 BV gewährleistet. Das Ziel der Norm ist die Wahrung der Waffengleichheit. Dem Anspruch, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, kommt grundsätzlich ein absoluter Charakter zu. Demgegenüber ist das Recht, Entlastungszeugen zu laden und zu befragen, relativer Natur. Das Gericht hat insoweit nur solche Beweisbegehren, Zeugenladungen und Fragen zu berücksichtigen und zuzulassen, die nach seiner Würdigung rechts- und entscheiderheblich sind. Das strenge Erfordernis des Anspruchs auf Befragung von Belastungszeugen erfährt in der Praxis eine gewisse Abschwächung; es gilt uneingeschränkt nur in jenen Fällen, bei denen dem streitigen Zeugnis ausschlaggebende Bedeutung zukommt, dieses also den einzigen oder einen wesentlichen Beweis darstellt (BGE 129 I 153 E. 3.1, mit zahlreichen Hinweisen). In diesem Sinne hat der Gerichtshof für Menschenrechte trotz der absoluten Natur des Rechts des Beschuldigten auf Befragung von Belastungszeugen Konventionsverletzungen in verschiedenen Fällen verneint. Er führte aus, es sei aus praktischen Gründen nicht in allen Fällen möglich, dem Anspruch auf Konfrontation uneingeschränkt gerecht zu werden. Wenn der Zeuge aus äusseren Umständen, die die Behörden nicht zu vertreten haben, nicht einvernommen und dem Beschuldigten nicht gegenübergestellt werden konnte, hat der Gerichtshof angesichts der besonderen Umstände des zu beurteilenden Einzelfalles eine Konventionsverletzung verneint: Im Fall F. war der Zeuge verstorben, im Fall A. und D. war ein Zeuge trotz angemessener Nachforschungen unauffindbar und im Fall As. berief sich die Anzeigerin und Zeugin auf ihr Aussageverweigerungsrecht. In all diesen Fällen war von Bedeutung, dass das belastende Zeugnis nicht den einzigen oder den ausschlaggebenden Beweis darstellte (zitiert in: BGE 125 I 136 E. 6c/dd, mit Hinweisen). In diesem Sinne hat auch das Bundesgericht ausgeführt, es könne ferner bei vorübergehender oder dauernder Einvernahmeunfähigkeit des Zeugen, oder wenn sich dieser vor dem Beschuldigten fürchtet oder wenn der Zeuge sich in erheblicher Entfernung befindet von einer direkten Konfrontation abgesehen werden (BGE 125 I 136 E. 6c/dd, mit Hinweisen). Da die Interessen der Verteidigung und diejenigen des Opfers im Lichte von Art. 8 EMRK gegeneinander abgewogen werden müssen, kann die Garantie von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK allenfalls auch ohne Konfrontation mit dem Angeklagten oder direkte Befragung des Opfers durch den Verteidiger gewährleistet werden (BGE 129 I 155 E. 3.2, mit Hinweisen). Zur Wahrung der Verteidigungsrechte ist erforderlich, dass die Gelegenheit der Befragung angemessen und ausreichend ist und die Befragung tatsächlich wirksam ausgeübt werden kann. Der Beschuldigte muss namentlich in der Lage sein, die Glaubhaftigkeit einer Aussage prüfen und den Beweiswert auf die Probe und in Frage stellen zu können. Die Fragen der Verteidigung sind nur zuzulassen, wenn sie irgendwie erheblich sind; die Abweisung offensichtlich untauglicher Beweisanträge verletzt die verfassungsmässigen Rechte des Angeklagten nicht. Um ein faires Verfahren sicherzustellen, sind Schwierigkeiten, die der Verteidigung durch eine Einschränkung ihrer Rechte während der Untersuchung entstehen, durch die von den Gerichten durchgeführten Verfahrensschritte hinreichend auszugleichen (BGE 129 I 157 E. 4.2, mit zahlreichen Hinweisen). Ist die betreffende Aussage indes der einzige oder doch überwiegend ausschlaggebende Beweis, stösst man an eine fast absolute Grenze, bei der auch ausgleichende Massnahmen keine hinreichende Kompensation bieten können; in einem solchen Fall darf auf die betreffende Zeugenaussage nicht abgestellt werden (Dorrit Schleiminger, Konfrontation im Strafprozessrecht, Diss., Basel 2001, S. 27, mit Verweis auf BGE 125 I 139 E. 6d/dd). Bei einem Belastungszeugen, dessen Aussagen als das einzige oder ausschlaggebende Beweismittel die Grundlage des Urteils bilden, darf die Beantwortung von Fragen der Verteidigung an diesen nicht mittels antizipierter Beweiswürdigung für nicht notwendig erklärt werden. Schliessen es die berechtigen Interessen (namentlich jene des minderjährigen Opfers) aus, dass der Angeklagte Fragen stellen lässt, darf auf die entsprechende Zeugenaussage grundsätzlich nicht abgestellt und der Angeklagte nicht allein gestützt auf solche Aussagen verurteilt werden (BGE 129 I 157 E. 4.3, mit Hinweisen).


4.5 Es ist unbestritten, dass E. J., L. M., K. M., B. B., R. T. und S. B. nicht mit dem Angeklagten konfrontiert worden sind. Vorliegend von Bedeutung sind nur die Aussagen von E. J. und L. M., da die Aussagen der anderen den Angeklagten nicht belasten oder den Sachverhalt im Jahre 1999 betreffen. Nach § 38 StPO können die angeschuldigte Person und ihre Verteidigung an Einvernahmen von Zeuginnen und Zeugen, Auskunftspersonen und Sachverständigen sowie an Augenscheinen teilnehmen, wenn keine Beeinträchtigung des Verfahrenszwecks zu befürchten ist. Sie können, wenn die Verfahrensleitung ihre Befragungen abgeschlossen hat, selbst Fragen stellen lassen (Abs. 1). Termine sind den Teilnahmeberechtigten rechtzeitig mitzuteilen (Abs. 2). Beweiserhebungen nach Abs. 1 sind ungültig, wenn der Termin der angeschuldigten Person oder ihrer Verteidigung nicht rechtzeitig mitgeteilt worden ist (Abs. 4). Grundsätzlich ist zu verlangen, dass der Angeschuldigte bzw. sein Rechtsvertreter zur Wahrnehmung der Verteidigungsrechte rechtzeitig und in angemessener Weise aktiv werden. Auf das Recht, Zeugen zu befragen, kann ausdrücklich oder stillschweigend verzichtet werden; ein solcher Verzicht macht die Zeugenaussage weder nichtig noch lässt er einen Anspruch auf Wiederholung entstehen (BGE 121 Ia 309 E. 1b). Reagiert ein Angeschuldigter nicht auf ihm zugestellte Vorladungen hinsichtlich der Befragung von Belastungszeugen in der Voruntersuchung, so liegt nach der Praxis des Kantonsgerichts ein stillschweigender Verzicht auf das Konfrontationsrecht vor (Entscheid des KGZS vom 16. September 2002, in: Amtsbericht des Kantonsgerichts 2002, S. 89). Nachdem die Staatsanwaltschaft nicht geltend macht, der Angeklagte sei zu den Einvernahmen vorgeladen worden und die kantonale StPO keine Vorschriften betreffend Form und Frist von Beweisanträgen enthält, ist dem Einwand der Staatsanwaltschaft, der Angeklagte hätte zu einem früheren Zeitpunkt die Konfrontation beantragen müssen, nicht zu folgen, da es die Aufgabe der Untersuchungsbehörden ist, die Schuld des Angeklagten entsprechend den verfassungs- und strafprozessualen Vorschriften nachzuweisen, weshalb dieser sich trotz seiner prozessualen Mitwirkungspflichten darauf beschränken kann, die Verwertbarkeit der Beweismittel zu bestreiten, was er auch im Verfahren vor dem Strafgericht getan hat (vgl. dazu BGE 129 I 90 E. 4.4). Entscheidend ist in diesem Zusammenhang nicht, dass tatsächlich eine Konfrontation stattgefunden hat, sondern vielmehr, dass dem Angeklagten die Möglichkeit zu einer solchen hätte eingeräumt werden müssen. Die Ansicht der Staatsanwaltschaft, wonach die Verwertung der Aussagen der genannten Belastungszeugen zwar beantragt, ihnen jedoch keine entscheidende Bedeutung zugemessen wird, ist zudem widersprüchlich. Aufgrund der Aktenlage sind die Aussagen der Belastungszeugen mangels anderer Beweise vor Anhebung der Telefonkontrolle sehr wohl von ausschlaggebender Bedeutung. Sind die Aussagen aber von ausschlaggebender Bedeutung, so kommt dem Anspruch des Angeklagten, dem Belastungszeugen Fragen stellen zu können, grundsätzlich ein absoluter Charakter zu, und die Strafverfolgungsbehörden tragen das Risiko der Unverwertbarkeit, falls sich erst zu einem späteren Zeitpunkt die Evidenz der betreffenden Aussagen herausstellt, zu diesem Zeitpunkt jedoch - wie vorliegend der Fall - eine nachträgliche Konfrontation aufgrund des unbekannten Aufenthaltes des Zeugen E. J. nicht mehr möglich ist. In casu liegen keine äusseren von den Behörden nicht zu vertretenden Umstände vor, weshalb die Zeugen dem Angeklagten nicht gegenübergestellt werden konnten. Das wird dadurch verdeutlicht, dass im Fall L. M. eine Konfrontation mit dem Belastungszeugen E. J. stattgefunden hat. Gemäss der Praxis des Bundesgerichts fällt das ausnahmsweise Abstellen auf Zeugenaussagen trotz fehlender Befragung (beispielsweise aufgrund berechtigter Interessen des Zeugen) schon dann ausser Betracht, wenn die kantonalen Behörden den Umstand selbst zu vertreten haben, dass der Angeklagte seine Rechte nicht (rechtzeitig) hat wahrnehmen können. Bei Verzicht auf die Erhebung weiterer Beweise muss dem Angeklagten entweder die Möglichkeit gegeben werden, den Zeugen in geeigneter Weise befragen zu lassen, oder er darf nur der seinerseits nicht bestrittenen deliktischen Handlungen schuldig erklärt werden (BGE 129 I 158 E. 4.3, mit Hinweisen). Die Entgegnung der Staatsanwaltschaft, es sei nicht ersichtlich, durch welche Ergänzungsfragen der Angeklagte sein Verteidigungsrecht hätte wahren sollen, da E. J. ihn gar nicht direkt belastet habe, ist insofern irrelevant, als bei einem Belastungszeugen, dessen Aussagen als das einzige oder ausschlaggebende Beweismittel die Grundlage des Urteils bilden (sollen), was vorliegend für die Aussagen von E. J. vor Anhebung der Telefonkontrolle der Fall ist, die Beantwortung von Fragen der Verteidigung an diesen nicht mittels antizipierter Beweiswürdigung für nicht notwendig erklärt werden darf. Nach Gesagtem darf trotz der Tatsache, dass der Angeklagte und L. M. gemeinschaftlich in bandenmässiger Vereinigung dem Betäubungsmittelgesetz zuwidergehandelt haben, infolge der Unverwertbarkeit der Aussagen von E. J. die L. M. zurechenbare Menge an umgesetzten Betäubungsmitteln nicht unbesehen auf vorliegenden Fall übernommen werden, sondern es ist betreffend den Angeklagten vielmehr eine eigene Berechnung vorzunehmen. (...)


5.1-5.3 (…)


5.4 Einleitend ist auszuführen, dass dem Kantonsgericht bei der Überprüfung des angefochtenen Entscheides sowohl hinsichtlich der Appellation als auch in Bezug auf die Anschlussappellation die volle Kognition zusteht. Es steht somit kein formelles Hindernis dem Umstand entgegen, dass die Staatsanwaltschaft in ihrer Anschlussappellation einen vom Angeklagten nicht angefochtenen Freispruch erneuter Prüfung unterstellt. Zuzustimmen ist der Ansicht, dass die Aussagen von I. H. aufgrund eines formellen Mangels nicht verwertbar sind. Der Schlussfolgerung der Vorinstanz, dass deswegen allein aufgrund der Protokolle der Telefonkontrolle ein Schuldspruch nicht erfolgen darf, schliesst sich das Kantonsgericht indessen nicht an. Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 249 des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege; § 185 Abs. 1 in Verbindung mit § 170 Abs. 1 Satz 2 StPO) hat das urteilende Gericht frei von Beweisregeln und nur nach seiner persönlichen Ansicht aufgrund gewissenhafter Prüfung darüber zu entscheiden, ob es eine Tatsache für bewiesen hält. Das Gericht trifft sein Urteil unabhängig von der Zahl der Beweismittel, welche für eine bestimmte Tatsache sprechen, und ohne Rücksicht auf die Form des Beweismittels (Robert Hauser/Erhard Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, 5. Auflage, Basel 2002, § 54 N 3 f.; mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass das Kantonsgericht in Würdigung der Protokolle der Telefonkontrolle prüft, ob diese geeignet und ausreichend sind, um den Angeklagten der Geldwäscherei im Jahre 1999 schuldig zu sprechen. Aus den vorliegend massgeblichen Protokollen der Telefonkontrolle (vgl. act. 2285 f., 2307, 2333, 2433, 2451, 2507, 2535, 2603) wird ersichtlich, dass der Angeklagte im Gespräch mit seinem Vater einerseits mehrfach Geldüberweisungen angekündigt und dieser andererseits mehrfach den Empfang bestätigt hat. Der auf diesem Weg insgesamt transferierte Betrag, der nur aus dem Drogenhandel stammen kann, beläuft sich dabei entsprechend den Ausführungen der Staatsanwaltschaft auf rund CHF 135'700.--. Die in diesem Zusammenhang getätigte Aussage des Angeklagten, er sei zum fraglichen Zeitpunkt nicht mehr in der Schweiz gewesen, ist als Schutzbehauptung zurückzuweisen. Es ist kaum vorstellbar, dass eine andere Person mit dem Telefon des Angeklagten und unter seinem Namen die fraglichen Gespräche mit dem Vater des Angeklagten geführt haben soll. Der im Verhältnis zum Jahre 2001 unterschiedliche Stil beim Telefonieren lässt sich ohne Weiteres dadurch erklären, dass der Angeklagte im Jahre 2001 aufgrund seiner in der Zwischenzeit gemachten Erfahrungen vorsichtiger geworden ist. Demnach ist der Angeklagte in Gutheissung des diesbezüglichen Antrags der Staatsanwaltschaft und in Abänderung des angefochtenen Urteils auch im Jahre 1999 der Geldwäscherei schuldig zu erklären.


6. (…)


7.1-7.3 (…)


7.4 Nach Art. 55 Abs. 1 StGB kann das Gericht die ausländische Person, die zu Zuchthaus oder Gefängnis verurteilt wird, für drei bis 15 Jahre aus dem Gebiete der Schweiz verweisen. Die Landesverweisung verfolgt zwei Zwecke: Einerseits schützt sie die öffentliche Sicherheit, andererseits fügt sie dem Verurteilten als echte Strafe ein Übel zu. Wie die Strafzumessung generell, ist auch die Anordnung einer Landesverweisung so zu begründen, dass die richtige Anwendung des Bundesrechts nachprüfbar ist; insbesondere hat sich das Gericht zum Straf- und Sicherungsbedürfnis zu äussern. Dem Gericht ist ein weites Ermessen eingeräumt (Stefan Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Auflage, Zürich 1997, N 1 und 1a zu Art. 55 StGB; mit zahlreichen Hinweisen). Bei Erfüllung der Voraussetzungen bleibt es dem Gericht überlassen, ob es von der Sanktion Gebrauch machen will; woran es sich dabei zu orientieren hat, wird nicht durch das Gesetz bestimmt (Günter Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, Strafen und Massnahmen, Bern 1989, § 6 N 43). Die Entscheidung, ob eine Landesverweisung auszusprechen ist, ist mit Hilfe einer Interessenabwägung - zwischen dem öffentlichen Interesse an der Verhütung weiterer Delikte einerseits und dem privaten Interesse des ausländischen Straftäters am Verbleib in der Schweiz andererseits - zu treffen. Eine Landesverweisung sollte danach nur ausgesprochen werden, wenn die Gefahr besteht, dass der Verurteilte weitere Straftaten begehen könnte. Wie gross diese Gefahr und wie schwer die befürchtenden Delikte sein müssen, hängt davon ab, wie hart der Verurteilte durch die Sanktion getroffen wird. Die Praxis übt grössere Zurückhaltung, wenn ein Ausländer in der Schweiz verwurzelt ist, hier seine Familie und seine berufliche Existenz hat, als wenn er eigens zur Begehung von Delikten in die Schweiz einreist (Stratenwerth, a.a.O., § 6 N 44 f.; mit zahlreichen Hinweisen). In der Praxis sind für die Anordnung der Landesverweisung in erster Linie das Verschulden des Täters, daneben aber auch seine persönlichen Verhältnisse, namentlich die Beziehungen zur Schweiz, sowie die Sicherungsbedürfnisse massgebend (BGE 104 IV 223 E. 1b). Unabhängig vom Entscheid über die Hauptstrafe ist zu prüfen, ob für die Landesverweisung der bedingte Strafvollzug gewährt werden kann, wobei die Kriterien des Art. 41 Ziff. 1 StGB gelten (BGE 119 IV 197 E. 3b; Trechsel, a.a.O., N 5 zu Art. 55 StGB). Für Nebenstrafen ist der bedingte Strafvollzug immer möglich, auch wenn die Hauptstrafe das Höchstmass übersteigt (Trechsel, a.a.O., N 10 zu Art. 41 StGB). Ob die Landesverweisung bedingt aufgeschoben oder vollzogen werden soll, hängt einzig von der Prognose über das zukünftige Verhalten des Verurteilten in der Schweiz ab (BGE 119 IV 197 E. 3).


Es ist festzuhalten, dass der künftig in Kraft zu setzende neue Allgemeine Teil des Strafgesetzbuches keine Vorwirkung entfalten kann, weshalb es zum heutigen Zeitpunkt unerheblich ist, ob in diesem die Nebenstrafe der Landesverweisung noch enthalten ist oder nicht. Zu prüfen ist nur, ob unter den heute massgeblichen gesetzlichen Bestimmungen und der entsprechenden Praxis eine Landesverweisung anzuordnen ist. Die Vorinstanz hat den Angeklagten für die maximal zulässige Dauer unbedingt des Landes verwiesen. Dies ist von Seiten des Kantonsgerichts nicht zu beanstanden. Das Mass und der unbedingte Vollzug rechtfertigen sich auf der einen Seite angesichts des sehr schweren Verschuldens des Beurteilten, insbesondere der Tatsache, dass er nebst anderen Delikten sowohl im Jahre 1999 als auch im Jahre 2001 massiv gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen hat, wodurch sich ein grosses Risiko weiterer Delinquenz manifestiert hat, und auf der anderen Seite aufgrund der Tatsache, dass er nur zum Zwecke der Verübung von Straftaten eingereist ist und wegen des Fehlens einer Beziehung zur Schweiz keinerlei schützenswertes privates Interesse am Verbleib geltend machen kann.


8. (…)


9. (…)


10. (…)


KGE ZS vom 31. August 2004 i.S. E.H. (100 04 56 [A 17]/NEP)



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